Du bist im Supermarkt und möchtest für das geplante Abendessen nur noch den fehlenden Becher Schmand einkaufen. Zielstrebig steuerst du auf die Kasse zu und kurz bevor du ankommst, schießt in einer scharfen Linkskurve eine Frau mit einem vollgepackten Wagen an dir vorbei und erreicht vor dir die Kasse. Ohne dich anzusehen, fängt Sie hektisch an, ihren Wocheneinkauf vor dir aufs Band zu legen. In dir fängt es an zu brodeln…

„So eine blöde Kuh. Die hat sich doch mit Absicht vorgedrängelt.“ Du merkst, wie dein Körper sich anspannt und deine Wangen rot werden. „Was fällt der denn überhaupt ein? Die muss doch gesehen haben, dass ich nur einen Artikel in der Hand habe.“ Du köchelst innerlich auf kleiner Stufe weiter, durchbohrst die Frau von hinten mit bösen Blicken … und … schweigst.

Was ist hier geschehen? Wie aus dem Nichts heraus, hegst du Groll gegen diese unbekannte Frau. Doch wie entsteht Groll und was genau ist das?

 

Groll hegen

Ganz nüchtern betrachtet – nach dem deutschen Duden – ist Groll „heimliche, eingewurzelte Feindschaft oder verborgener Hass, zurückgestauter Unwille, […] [der] Verbitterung hervorruft“. Wenn du an eine bestimmte Person aus deinem Leben denkst und es anfängt, in deinem Verstand immer mehr niederes Drama abzuspielen, dann ist das Groll. Du kreierst Drama darüber, warum du in dieser Situation das Opfer bist oder warst und was der andere dir bereist alles angetan hat.

Groll entsteht immer dann, wenn wir unsere Wut mit Angst vermischen. Wir haben gerade so viel Angst, dass diese uns davon abhält etwas an der Situation oder an den Dingen  zu ändern. Lieber schweigen wir und fressen unseren Ärger in uns hinein. Wir erdulden Umstände, haben aber im inneren beschlossen, dass es sich dabei um eine große Ungerechtigkeit handelt. Um eine Veränderung herbei zu führen, benötigst du deine ganz bewusste Wut-Kraft – eine zielgerichtete Kraft, Entscheidungen zu treffen und letztendlich einen neuen Weg zu probieren.  Doch du kannst deinen Mitmenschen nicht einfach deine Wut zeigen, oder?

 

Annahme: Es ist nicht in Ordnung, wütend zu sein

In unserer Gesellschaft wird uns beigebracht, dass Wut gefährlich, zerstörerisch und unprofessionell ist.  Vielleicht kennst du auch so Sätze aus deiner Kindheit, wie: „Kinder sollte man sehen, aber nicht hören“,  „Geh in dein Zimmer und komm erst wieder raus, wenn du dich beruhigt hast“, oder „Mädchen verhalten sich so nicht.“ Uns wurde gesagt, wir würden hässlich aussehen, wenn wir unser Gesicht in Wut verzerren und laut werden. Uns sehen wir es unseren Eltern nach, sie haben ihr Bestes gegeben und wussten einfach nicht anders mit unserer Wut umzugehen. Wütende Menschen werden seit jeher als jähzornig, unprofessionell oder gar unzurechnungsfähig angesehen. Wir haben also schon früh gelernt, dieses Gefühl zu unterdrücken.

Viele von uns schlucken also ihre Wut immer wieder herunter, anstatt sie in dem Moment, in der sie aufkommt, verantwortlich auszudrücken. Das kannst du mit einem Fass vergleichen, dass immer mehr gefüllt wird und dann ist da irgendwann dieses berühmte Tröpfchen, das das Fass zum Überlaufen bringt. Dies kann eine Kleinigkeit sein. Und „POW“ bekommt unser Gegenüber all unsere angestaute, emotionale Wut entgegengeschleudert. Dabei hat unsere Wut gar nichts mit ihm persönlich zu tun. Ziemlich traurig, oder? Denk nur einmal daran, welche tiefen (emotionalen) Verletzungen in diesem Moment geschehen können.

 

Annahme: Wut ist eine neutrale Energie, die uns professionell dient

Über die Tatsache, dass uns unsere Wutkraft professionell dienen kann, lernen wir nichts in unserer westlichen Gesellschaft. Wir haben die Verbindung zu der Weisheit, die in unserer Wut steckt, verloren. Wenn Wut bei uns aufkommt, dann fühlt es sich meist so an, als würde die Wut uns beherrschen, anstatt dass wir uns die Wut bewusst zu Nutze machen.

Dabei ist Wut eine wertvolle Kraft in uns, die uns als Informationsquelle für unser Leben dienen kann. In dem Moment, in der wir Wut spüren, können wir das Gefühl bewusst nutzen, um Veränderungen herbeizuführen, Klarheit in den Raum zu bringen oder eine Grenze zu setzen.

Mit verantwortlicher Wut kannst du:

  • Ein unsicheres „Vielleicht“ in ein klares „Ja“ oder „Nein“ transformieren.
  • Eine Entscheidung treffen und etwas umsetzen. Wie beispielsweise deinen Keller entrümpeln und Gegenstände entsorgen oder verschenken.
  • Versprechen einhalten und nicht deiner Bequemlichkeit nachgeben.
  • Um etwas Bitten. Mit deiner Wut gehst du durch deine Angst und fragst für das, was du in diesem Moment brauchst.
  • Einen Blogartikel schreiben. Ja, dafür brauche ich auch meine Wutkraft. Ansonsten würde ich mich gerade wahrscheinlich ablenken und im Internet surfen oder einen Kaffee trinken.

Wenn ein aufkommendes Gefühl der Wut für dich weder gut noch schlecht ist, dann bist du an dem Punkt, wo das Gefühl dir professionell dienen kann, wenn du Gebrauch von ihrer Information machst. Wenn du in eine Situation kommst, in der du dich ärgerst, dann drücke deine Wut verantwortlich aus und schlucke sie nicht herunter. Und mit verantwortlich meine ich: wertschätzend (Ich-Botschaft), nicht verletzend (keine verbalen oder physischen Verletzungen), in Klarheit (Passt es in dieser Situation, oder spreche ich später darüber?) und zentriert (in Kontakt mit dir und deinen Gefühlen). Lass dich zu einem Experiment dazu einladen.

 

Experiment I – Mit Wut verantwortlich umgehen

Wenn du in eine Situation kommst, in der du merkst, dass Wut in dir aufsteigt, dann geh durch deine Angst und sprich das aus, was dich wütend macht.

Wut verantwortlich ausdrücken

Ich nenne dir hier ein Beispiele aus meinem Leben, in denen du üben könntest verantwortlich Wut auszudrücken sind. Ähnlichkeiten zu deinen eigenen Erfahrungen sind rein zufällig:

  • Du öffnest die Kühlschranktür und das Stück Kuchen, dass für dich bestimmt war ist verschwunden. Wenn du nicht in Zukunft auf Kuchen verzichten möchtest oder über deinen Partner in Groll versinken möchtest, dann sprich ihn an: „Ich fühle mich wütend, wenn ich feststelle, dass du mein Stück Kuchen aufgegessen hast. Das ist nicht in Ordnung für mich. Wenn du das nächste Mal Lust auf mein Essen bekommst, dann bitte ich dich, mich anzusprechen, ob es OK für mich ist, mit dir zu teilen.“
  • Ein Kommilitone leiht sich von dir deine Mitschrift aus der Vorlesung aus und bringt sie dir stark zerknittert wieder zurück. Das passierte bereits zweimal. Beim dritten Ausleihen sagst du: „Ich leihe dir sehr gerne meine Mitschriften. Allerdings macht es mich wütend, wenn ich sehe, wie du meine Unterlagen behandelst. Bitte geh sorgsamer mit meinen Sachen um. Wenn ich meine Blätter wieder zerknittert zurückbekommen sollte, werde ich dir meine Mitschriften kein weiteres Mal ausleihen.“ (Grenze setzen.)

Deine Geschichte über die Situation ändern

Um auf die Frau an der Supermarktkasse zurück zu kommen, so könntest du noch ein anderes Experiment starten. Ändere deine Geschichte über die aktuelle Situation. Ändere deine Geschichte „Das hat sie mit Absicht getan.“ in „Möglicherweise hat sie mich nicht wahrgenommen.“ Oder „Die Frau ist vielleicht unter Zeitdruck.“ Beobachte was diese neue Geschichte mit dir macht. Entspannen sich deine Muskeln? Kannst du Mitgefühl für die Frau empfinden und der Situation keine weitere Bedeutung zu schreiben? Herzlichen Glückwunsch, du bist nicht ins niedere Drama gegangen.

Gleichzeitig könntest du natürlich auch deine Wut nutzen, um sie zu fragen, ob sie dich vor lassen möchte? Vielleicht winkt sie dich ja mit einem Lächeln durch und wenn nicht, dann bleib vom Haken[1] fern und geh nicht ins niedere Drama.

Und was machen wir mit der emotionalen Wut, die wir über Jahre in uns gespeichert haben?

 

Experiment II – Emotionale Wut klären

Wenn du Rache übst, wird dies Groll nicht auflösen. Schlimmer noch, es könnte zu einer richtigen Schlacht ausarten, wo der eine versucht, dem anderen absichtlich noch ein Stückchen mehr weh zu tun. Beziehungen sterben nicht aus Mangel an Liebe, sie sterben aus Mangel an Nähe. Dadurch, dass wir Groll mit unseren Mitmenschen klären, kannst du Beziehungen wieder zum Leben erwecken.

Ich lade dich ein, deiner Wut und deinem aufgestauten Ärger regelmäßig zu begegnen. „Wie bitte, ich soll regelmäßig wütend sein?“ magst du dich fragen? Ja, genau dazu lade ich dich ein. Indem wir uns darin üben, bewusst und ohne Grund in die Wut zu gehen, trainieren wir unsere Wut wieder in all ihren Facetten wahr zu nehmen und unsere Taubheitsschwelle nach unten zu setzen setzten (vgl. Blog-Artikel: „Lebendig fühlen – Der Weg aus der Gefühllosigkeit“). Das bedeutet, dass du lernst, deine Gefühle bereits in einer sehr geringen Intensität wahr zu nehmen. Das kann z. B. das aufsteigende warme Gefühl in deinem Körper sein oder die Ungeduld, die sich in dir breit macht. Diese Anzeichen der Wut reichen bereits aus, um dich zu informieren. So, dass du verantwortlich für dich sorgen kannst, indem du beispielsweise eine klärende Frage stellst oder eine Grenze setzt.

Eine Möglichkeit, um in Kontakt mit deiner Wut zu kommen und mehr über dieses Gefühl zu erfahren ist der Tages-Workshop „Rage Club“. Die Angebote von Lebe Leichtigkeit | Training und Coaching zum Thema Wut, richten sich in erster Linie an Frauen. Wenn du ein Mann bist, oder gemischte Gruppen bevorzugst, dann kannst du mich natürlich gerne ansprechen und wir kreieren Möglichkeiten. Oder schau auf den Seiten von Next Culture vorbei, wann befreundete Possibility Trainer einen Workshop zum Thema Wut halten.

Ich wünsche dir viel Freude beim Experimentieren!

Alles Liebe
Lisa

 

Hier findest du den Blog-Artikel als Download:
2016-10-15_verantwortlicher_Umgang_mit_Wut

Fußnote: 

[1] Einen Haken kannst du dir vorstellen, wie einen Angelhaken, an dem ein sehr leckerer Köder hängt. Wenn du nicht zentriert bist, kann es leicht passieren, dass du anderen Menschen an den Haken gehst, den sie bewusst oder unbewusst auswerfen.